Alternativtitel: Weihnachten das ganze Jahr
Besonders um die Weihnachtszeit finden sich in der bürgerlichen Öffentlichkeit vermehrt Spendenaufrufe, Appelle an die Rückbesinnung auf die christliche Nächstenliebe und Aufrufe zur Wohlfahrt. Das aus linker Sicht zu kritisieren wirkt zunächst zynisch, fordern wir nicht immer mehr Solidarität mit den Schwächsten, stärkere Abgaben der Reichen und mehr Sozialstaatlichkeit?
Natürlich, doch genau dort findet sich bereits das ideologische Problem. Der einzige Zweck von Charity in einer bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft, ist die Sicherung des Status Quo. Es findet eine Verantwortungsverschiebung statt. Anstatt das Staatsversagen, das Institutionen wie die Tafel erst nötig macht, anzuprangern, wird sich in eine moralische Bewertung der Verhältnisse geflüchtet und an die Menschlichkeit jener appelliert die mehr haben. Das ist Grundsätzlich nicht falsch, es kann beizeiten sehr sinnvoll sein, auch an die Empathie zu verweisen, um auf die schrecklichen Symptome des Kapitalismus aufmerksam zu machen, jedoch eine gesellschaftliche Ordnung auf der Gunst der Herrschenden und Reichen aufzubauen, ist nicht nur extrem instabil, sondern auch eine reine Symptombekämpfung.
Es ist ein medialer Akt, der Mark Fisher vermutlich sehr gut in seine Analyse passen würde. Die alljährliche „Ein Herz für Kinder“- Gala im ZDF, 1978 ins Leben gerufen von Axel Springer im gleichnamigen Hochhaus in Westberlin. Zu den prominenten Spendern gehören jährlich deutsche Unternehmen wie Bauhaus oder die Telekom, aber auch Privatpersonen wie Carsten Maschmeyer, der mit einer Spende von 100.000 Euro „(…) zugunsten der Kinder des Krieges der Ukraine.[1]“ als Großspender aufgeführt wird. Nun wäre es naheliegend, an dieser Stelle die altbekannte kapitalistische Weisheit auszupacken, dass Unternehmen solche Aktionen gerne nutzen, um ihr Image aufzupolieren, also im Endeffekt nur der eigenen Profitlogik folgen. Das mag zynisch klingen, ist aber in der Logik des Systems ein Teil der Wahrheit, doch darum soll es hier nicht gehen. Ob einzelne Akteure im kapitalistischen System spenden, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, um ihr Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern oder weil ihnen das Leben von Kindern tatsächlich am Herzen liegt, können wir nur mutmaßen. Dass jedoch gerade ein Verlagshaus wie der Axel Springer Verlag, der mit der BILD eine Zeitung herausbringt, die das ganze Jahr herum in reißerischen Schlagzeilen gegen die Schwächsten der Gesellschaft hetzt, dafür etliche Rügen des Presserates einsteckt[2] und deren ehemaliger Chefredakteur in InfoWars ähnlichen Videos ein Sammelsurium aus Verschwörungsideolog:innen und Rechten bespielt, eine Veranstaltung ausrichtet, die die Nächstenliebe und das Soziale in den Mittelpunkt stellt, wirkt absurd. Noch absurder wird es dann, wenn der deutsche Finanzminister Christian Lindner auf dem roten Teppich erscheint und zwischen „Outfit Checks“, funkelnden Christbaumkugeln und Anmoderationen an der Linie von „(…) und wenn sich einer mit Kohle auskennt, dann ja wohl er.[3]“, mit ernstem Blick in die Kamera schaut und die vorbereitete Rede darüber, warum es gerade jetzt wichtig sei zu spenden herunterrattern darf, bevor es wieder um die wichtigen Themen geht, nämlich darum wie glücklich denn die Ehe von Christian Lindner und Franca Lehfeldt gerade ist oder ob sie schon alle Weihnachtsgeschenke beisammen haben.

Ist es nicht auch großartig, wie bodenständig sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in der Vorweihnachtszeit zeigt, wenn er sich in Schürze und mit Funktionshandschuhen bei einer Ausgabe Stelle der Münchner Tafel ablichten lässt, wie er Essen an Bedürftige ausgibt? Oder wenn er in einer Instagram Story von der „Sternstunden-Gala“ des Bayrischen Rundfunks zum Spenden aufruft und nochmal darauf hinweist, dass das „(…) in diesen Zeiten ein tolles Signal (…).“ wäre. In die gleiche ideologische Kerbe schlägt auch, obgleich vermutlich nicht mit der selben Intention, ein Post des öffentlich-rechtlichen Outlets Funk, der auf Instagram thematisiert, wie man Freund:innen mit wenig Geld helfen könne. Dort finden sich dann Meisterleistungen des kritischen Denkens wie der Verweis, dass Armut normal sei und dass niemand etwas dafür könne. Gemeint ist zwar sicher, dass von Armut betroffene Personen keine Schuld an der eigenen Armut tragen, was ein korrekter und progressiver Punkt ist. Ohne die hinreichende Systemanalyse und Kritik des Status Quo, die Feststellung, dass Armut politisch gewollt und im Kapitalismus benötigt wird, um das herrschende System aufrecht zu erhalten, wirkt der Post jedoch nur wie ein weiterer Beitrag zur Normalisierung der Verhältnisse und der Entpolitisieren von Armut.

In den drei genannten Beispielen finden sich nun zwei verschiedene Aspekte des gleichen Phänomens. Während Konservative wie Söder und Neoliberale wie Lindner wissentlich und willentlich eine Entpolitisierung und Individualisierung von Armut vorantreiben, ist der Funk Post als Symptom dieser Entpolisierung entstanden. Er kann als Nebenprodukt einer Kultur verstanden werden, für die ein Verständnis von Staat, als Verantwortlicher in Fragen der Armut und Verteilung von Wohlstand so weit weg ist, dass man sich lieber in eine moralische Aufladung der diskursiven Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sozialen Herkunft stürzt, als sich nur einen Moment mit den herrschenden Verhältnissen zu beschäftigen und diese zu kritisieren.
Hätten wir einen Staat, der anstatt sich Monate lang mit einer Debatte um das Bürgergeld aufzuhalten, tatsächliche Politik für die Armen und Ausgebeuteten machen würde, die Rolle von Großkonzernen in einem globalen System der Ausbeutung anprangern und bekämpfen würde, würde auch die Notwendigkeit von Spenden und Charity an sich entfallen. Ein politisches System darauf aufzubauen, dass der kollektive Weihnachtsspirit die Herrschenden in ihre Spendierhosen packt und wir so die schlimmsten Symptome des wirtschaftlichen Systems, Jahr für Jahr abfedern können, ist weder stabil noch eine nachhaltige Lösung. Egal ob an Weihnachten oder zu jeder anderen Zeit müssen wir die Antipolitik der Herrschenden, die Entpolitisierung und Verantwortungsverschiebung ins Private anprangern und kritisieren. Eine Politik, die sich das ganze Jahr nicht für die Schwächsten interessiert und dann erst, wenn Kameras laufen und rote Teppiche ausgerollt sind die eigene Menschlichkeit entdeckt, ist eine Politik die nicht uns, sondern jene vertritt, die selbst genug haben. Die Armen sollen sich mit den Brotkrumen zu Weihnachten zufriedengeben und bloß nicht die Eigentumsverhältnisse in Frage stellen.
[1] Ein Herz für Kinder: 100 Tausend Euro von Carsten Maschmeyer. Unter: https://www.ein-herz-fuer-kinder.de/projekte/100-000-euro-von-carsten-maschmeyer (18.12.22).
[2] Presserat: Rügen des Presserats seit 1986. Unter: https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html (18.12.22).
[3] Martin Gerstenberg: 3:16:25. Unter: https://www.youtube.com/watch?v=FbRBGtC4t50 (18.12.22).