über Faschismus – liberale Werte – und geschichte.

Mit rund 44 Prozent der Stimmen gewann am 26.09.22 ein Bündnis aus drei Parteien die Wahl in Italien. In europäischen und amerikanischen Medien werden sie als „Rechtsbündnis“ bezeichnet. Dreibündnisse wie dieses sind schon lange keine Besonderheit mehr, die politische Landschaft Italiens ist seit dem zweiten Weltkrieg eine extrem instabile. Unzählige Regierungswechsel, die Notwendigkeit breiter Bündnisse, um irgendeine Art von Mehrheit herzustellen und immer wieder prominente Politiker:innen, denen Korruption, Verbindungen zur Mafia oder geschichtsrevisionistische Positionen zum italienischen Faschismus nachgewiesen werden.

Nun also Georgia Meloni. So wird die nächste Ministerpräsidentin Italiens heißen. Im Wahlkampf fiel sie mit radikal rechten Positionen auf, welche häufig noch die anderen europäischen Schwesterparteien in ihrer Deutlichkeit und Radikalität überschatteten. Gegen Migration, gegen queere Menschen, gegen Schwangerschaftsabbrüche und für Italien, für ein nationalistisches, völkisches Italien. Melonis Partei, die Fratelli d´ Italia (Brüder Italiens) wird in der Debatte häufig als postfaschistisch, neofaschistisch, rechtspopulistisch und rechtsextrem bezeichnet. Im Folgenden möchte ich mit einigen Bezügen zur Geschichte des europäischen Faschismus daran erinnern, dass dies nicht nur, wie häufig von faschistischen Politiker:innen behauptet, Worte sind. Wir dürfen Faschismus nicht als eine von vielen politischen Ideologien begreifen. Wir dürfen nie vergessen, wozu Faschismus in Europa und der ganzen Welt geführt hat.

Doch was ist Faschismus?

Der Faschismus-Begriff manifestiert sich in den 1920er Jahren in Italien und findet bald in nahezu allen europäischen Ländern Ableger. Das Wort Faschismus entstammt dem italienischen „Fasces“ und beschreibt in seiner Grundform ein Rutenbündel, in welchem ein Beil steckt. Die Symbolik geht zurück auf das Römische Reich und ist ein Beispiel für die bezeichnende Geschichtsverdrehung der faschistischen Ideologie.

Das prominenteste historische Beispiel für den Faschismus ist, neben Mussolinis italienischer Auslegung sicher der deutsche Nationalsozialismus, der zwischen 1933 und 1945 seinen Terror über Europa und die ganze Welt verbreitete. Der Holocaust und der deutsche Angriffskrieg sind dabei als schreckliche Symptome einer Ideologie zu verstehen, in deren Basis Vernichtung und Völkermord angelegt ist. Die deutsche Rassenideologie, nach welcher die arische Rasse allen anderen übergeordnet sei, bildete die Rechtfertigung für den „Lebensraumgewinn“, wie die Nazis ihre militärische Landnahme in Osteuropa rechtfertigten. Eine einheitliche Definition für Faschismus ist aufgrund der verschiedenen Ausprägungen schwer zu finden. Bekannt sind unteranderem die scharf diskutierten 14 Merkmale des Ur-Faschismus, die von dem italienischen Schriftsteller Umberto Eco formuliert wurden. Unter ihnen finden sich beispielsweise die Ablehnung der Meinungsfreiheit und der Moderne, extremer Nationalismus, Traditionen-Kult, Populismus und Ablehnung von Wissenschaftlichkeit und analytischer Kritik. Viel plastischere Beispiele findet man, wenn man den Populismus von historischen faschistischen Persönlichkeiten, sowie die Traditionslinien zu Neofaschistischen und Neonazistischen Strömungen betrachtet.

Neo-Faschismus

Betrachtet man nun all das, was sich unter der Vorsilbe „Neo“ im Bezug auf Faschismus und Nationalsozialismus verbirgt, fallen schnell Kontinuitäten, aber auch Unregelmäßigkeiten auf. Prominente deutsche Beispiele für solche Bewegungen sind Parteien wie der Dritte Weg, Die Neue Stärke Partei, die NPD, aber auch außerhalb des parlamentarischen Betriebs stehende Bewegungen wie die Identitäre Bewegung. Sie alle fahren unterschiedliche Strategien und haben unterschiedliche ideologische Fundamente für ihre Politik. Während sich die Ästhetik der Identitären Bewegung stark an die der intellektuellen Linken zu Ende des letzten Jahrhunderts annähert, zeigen sich die NPD und der Dritte Weg auch äußerlich anders, sowohl als klassische Neu-Rechte, aber auch anders als die Faschisten des 20. Jahrhunderts.[1]

Der wohl prominenteste Neu-Rechte Vordenker in Deutschland ist sicher der Verleger Götz Kubitschek, welcher sowohl gute Verbindungen in das rechtsextreme außerparlamentarische Spektrum um die Identitäre Bewegung und die NPD, als auch in das parlamentarisch agierende rechtsradikale Spektrum um Björn Höcke und die AfD hat.[2] Ihn darf man nicht mit dem Straßenschläger Skin-Head verwechseln. Kubitschek ist ein Intellektueller. Seine Worte bilden das theoretische Fundament für die Praxis der Rechtsextremen.

Die AfD als gesamt faschistische Partei zu bezeichnen wäre zu einfach, zu stark sind die Einflüsse neoliberaler und konservativer Gesinnungen. Jedoch schafft die AfD durch ihr Wirken, ihre Sprache und ihr Programm die Voraussetzung für die Normalisierung faschistischer Meinungen. Einzelpersonen pflegen klar belegbaren Kontakt zu faschistischen Organisationen, Personen und Bewegungen. Sie werden in der AfD toleriert und gefördert. Die also aus rechtsextremer Sicht moderat wirkenden Positionen der zwar rechtsradikalen, nicht aber gänzlich faschistischen AfD dienen neurechten Strömungen als Weg in gesellschaftliche Schichten, die sie davor nicht erreicht hätten. Die Klänge der unter dem Deckmantel des Konservatismus agierenden Reden, motivieren jene, die rechtsextreme Anschläge verüben, wenn auch nicht immer gewollt. Es gehört zu einer anständigen Analyse dazu, dass auch viele Rechtsextreme unzufrieden mit der Rolle der AfD im so verhassten politischen Prozess sind. Sie wird jedoch als beste aktuelle Möglichkeit wahrgenommen, um die eigenen Ziele zu verbreiten.

Liberale Werte und Antifaschismus

Jahrzehntelang haben Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokraten die Geschichte Europas als eine erzählt, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialistischen Schreckens und in Abgrenzung zum Faschismus entstanden ist. Nun, knapp achtzig Jahre später, beobachten wir, wie faschistische Kräfte Parlamente, die Straßen und den politischen Diskurs nach und nach zurückerobern. Die liberale Antwort auf den parlamentarisch agierenden Faschismus war selten eine adäquate. Mit einem hufeisentheoretischen Verständnis von Politik, einem dogmatischen Gewaltbegriff und dem konstanten Negieren von historischen Gegebenheiten haben sie einem gewählten Rechtsextremismus nichts entgegenzusetzen. Viel mehr noch wird ein Bild von der Universalität der demokratischen Kultur geschaffen, das beispielsweise Hillary Clinton dazu veranlasste in Bezug auf Meloni zu bemerken, dass es ja immer etwas Gutes sei, wenn eine Frau in eine Führungsposition gewählt wird[3].

Antifaschismus ist keine Position, die auf einem Stimmzettel verhandelt wird. Zwar wäre es falsch zu sagen, dass eine bürgerliche Gesellschaft, wie sie in kapitalistischen, westlichen Staaten vorherrscht, überhaupt keine Mechanismen hätte um den Wiederaufstieg von Faschismus zu verhindern. Jedoch muss aktuell konstatiert werden, dass durch ein eindimensionales Politikverständnis, die Propaganda der unideologischen Mitte und einem seit dem zweiten Weltkrieg grassierenden Antikommunismus, welcher jede linke und antifaschistische Tendenz delegitimiert und bekämpft dazu führt, dass der inzwischen gut vernetzte und organisierte Faschismus eine Diskurslage vorfindet, in welcher er nur lange genug darauf warten muss, dass die ökonomischen Kontradiktionen des Spätkapitalismus eine ausreichende Basis für rechtspopulistische Argumente liefert. Dass linke Strömungen so stark dezimiert sind, dass sie keine reale Gefahr darstellen und darauf, dass der politische Diskurs im Rahmen der selbstgesetzten bürgerlichen Werte zu einer solchen Farce verkommt, dass sich die Ärmsten, Mittellosesten und Zurückgelassenen der Gesellschaft in einer Situation befinden, in welcher sie der These, es gäbe eine Elite, die aktiv Politik gegen „das Volk“ macht mehr abgewinnen können, als einer tatsächlichen Systemanalyse des kapitalistischen Systems.

Zwar ist  die bürgerliche Ablehnung des Faschismus eine ehrliche, durch den gleichzeitigen Hass auf Linke und ihre Analysen, werden jedoch eher antifaschistische Gruppen mit einem Verweis auf den Rechtsstaat, der als Schutz vor Faschismus ausreichen würde, delegitimiert.

Benennen heißt nicht Bekämpfen

Häufig fällt auf, dass linksliberaler Antifaschismus bedeutet, Faschisten als Faschisten zu bezeichnen. Höcke darf gerichtlich als Faschist bezeichnet werden[4], hat das jemanden davon abgehalten mit ihm zu marschieren? Vielleicht, aber es reicht dennoch nicht aus. Faschisten wissen, dass sie Faschisten sind. Natürlich ist es Teil des Kampfes gegen sie, ihren Populismus zu enttarnen und aufzuzeigen, wozu ihre Ideologie zwangsläufig führt. Jedoch zu denken, dass Bezeichnungen nicht umgedeutet werden könnten und Label nicht wieder positiv besetzt werden könnten, ist naiv. Jegliche Berichterstattung über die Machenschaften des rechten Lagers, jeder wissenschaftliche Fakt während der Corona-Pandemie wird als Beweis für eine Medienverschwörung herangezogen. Mit einem skandierten „Lügenpresse“ wird alles weggewaschen, was Linksliberalen an richtiger Benennung und Beschreibung einfällt. Kubitschek leistet dabei mit Begrifflichkeiten wie der „(…) lückenlosen Gleichschaltung der steuerfinanzierten und der großen regierungsnahen Häuser;[5]“ eine theoretische Grundlage. Im Kulturkampf verkommen diese wichtigen Begriffe zu Worthülsen. Die einen wissen nicht wirklich, was sie bedeuten, die anderen tragen sie mit Stolz, da es ja Beweis für ihre Propaganda ist. Die Abgrenzung nach Terrorakten wie in Hanau, Halle oder beim Mord am CDU Politiker Walther Lübcke fällt häufig sehr wortkarg aus. Die eben genannten Fälle sind nur einige wenige Beispiele dafür, wozu Rechtsextreme bereit sind, um ihre politischen Ziele zu verwirklichen.

Der heiße Herbst und Systemumsturz

Nachdem nun also klar geworden ist, dass der historische wie „moderne“ Faschismus eine reale Gefahr,, sowohl für Linke und Sozialist:innen, als auch für all das was wir als demokratische westliche Werte beschreiben ist und war, müssen wir noch kurz betrachten, welche Mechanismen zum Erstarken des Faschismus führen und was der vielleicht sinnvollste Umgang mit ihm in der aktuellen Situation für all jene ist, die sich als liberal, konservativ, links, grün, sozialdemokratisch und im weitesten Sinn demokratisch verstehen.

Die aktuellen Krisen bieten Rechtsradikalen die Basis für Mobilisierung.[6] Jedes Thema, sei es der Krieg in der Ukraine, die daraus erwachsene Energieknappheit, Inflation oder immer noch die Corona-Pandemie, werden von ihnen besetzt. Alles wird in einen Topf geworfen und ohne jegliche Differenzierung als Beweis für die Unfähigkeit der herrschenden Politik herangezogen.

Nun würden sicher viele Linke zustimmen, dass die aktuelle Antwort der Regierung auf diese multiplen Krisen keine Adäquate ist. Häufig hören wir dann, dass Linke und Rechte gleichermaßen die Krise und die Not der Menschen für ihre Zwecke ausnutzen würden und die Stimmung nur weiter anheizen. Das ist zu einfach und spielt den Rechten in die Hände. Auf der einen Seite steht eine diffuse Kapitalismuskritik von Rechts, die eher Migrationsströme und Globalisierung als Symptom des Kapitalismus ablehnt, als eine tatsächliche Analyse seiner Wirkungsweise zu liefern. Linke auf der anderen Seite, in sich natürlich zu vielfältig, um die Positionen über einen Kamm zu scheren, befassen sich mit den Mechanismen eines globalen Kapitalismus. Die Antwort auf ökonomische Probleme ist dabei nicht auf Geflüchtete zu zeigen und ihnen die Schuld zu geben, sondern aufzuzeigen, dass eine inhärente Ungerechtigkeit in unserem globalen Wirtschaften besteht, die es zu überwinden gilt.

Die ökonomische Basis der Argumentation.

Populismus funktioniert nach einem einfachen Schema. Es gibt ein komplexes Problem, dessen multikausalen Ursachen einer ebenso komplexen Reflexion und Problemlösung bedürften. Nun sucht sich aber der Rechte Populismus ein einfaches Feindbild und bündelt alle Probleme auf einen Schuldigen, schürt den Hass auf ihn und verspricht mit der Zerschlagung, Vernichtung oder Entmachtung dieses Feindes eine bessere Welt. Austauschbar müssen für dieses Feindbild dann Geflüchtete, „die Juden“, Linke, im Fall von Meloni die „LGBT-Lobby[7]“ oder die Demokratie an sich herhalten.

Der deutsche Antikommunismus spielt dem Faschismus dabei in die Hände. Während linke Analyse über Kapitalismus und die Mechanismen des Kapitals als genauso verschwörungstheoretisch und ideologisch verblendet dargestellt werden, hat das Bürgertum der faschistischen Propaganda keine Maßnahmen entgegenzusetzen. Die ökonomischen Verwerfungen des kapitalistischen Systems, die Klassengegensätze und Ausbeutung wird nicht überwunden, sondern existieren mit einigen sozialdemokratischen Entschärfungen, die den Klassenkonflikt zu großen Teilen in die sog. „Dritte Welt“ verlagert haben, weiter und bilden damit die Basis für populistische Argumente, die die Ärmsten gegeneinander ausspielen. Wenn der schlecht bezahlte Arbeiter verstehen würde, dass der Migrant neben ihm, aufgrund der gleichen Mechanismen zu wenig hat und sie sich eben nicht gegenseitig etwas wegnehmen, würde auch das gegeneinander ausspielen nicht mehr verfangen. Wir müssen anerkennen, dass der größte Feind der Demokratie, der Liberalität und der Menschenwürde der Faschismus ist. Anstatt sich auf das argumentative Katz und Maus Spiel der Rechten einzulassen, müssen wir einen solidarischen Klassenstandpunkt entwickeln, der die tatsächlichen Profiteure der globalen Krisen in die Verantwortung nimmt und eine tatsächliche bessere Welt für alle zum Ziel hat.

[1] Zum Erscheinungsbild von Neuen Rechten habe ich hier etwas geschrieben: https://politikorange.de/2020/05/die-neue-rechte-und-die-luegenpresse/

[2]Siehe auch hier: https://politikorange.de/2020/05/die-neue-rechte-und-die-luegenpresse/

[3] Ruth Ben-Ghiat. The Return of Facism in Italy. Unter: https://www.theatlantic.com/international/archive/2022/09/giorgia-meloni-italy-election-fascism-mussolini/671515/?utm_content=edit-promo&utm_source=facebook&utm_campaign=the-atlantic&utm_term=2022-09-23T11%3A00%3A57&utm_medium=social

[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bjoern-hoecke-darf-als-faschist-bezeichnet-werden-gerichtsurteil-zu-eisenach-a-1289131.html

[5] Kubitschek, Götz. Herbst, Empörung, Grundsätze (1): Wellen. Unter: https://sezession.de/66340/herbst-empoerung-grundsaetze-1-wellen

[6] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/verfassungsschutz-demonstration-passive-gesellschaft-100.html

[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/wahlen-italien-vor-rechtsruck-mache-ich-euch-angst-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220923-99-872062