Die Landschaft rauscht an mir vorbei, wie ein Film, den man schon ein paar Male gesehen hat. Morgensonne beleuchtet alles was ich hinter mir lasse; Spotlight für vorbeiziehende Momente. In meinen Körper steckt noch die Schlaflosigkeit der letzten Woche, ein flaues Gefühl im Magen, müde wie betrunken. Ich skippe den Song und frage mich beim nächsten, ob du auch noch manchmal an mich denkst. Erinnerungen an eine Zeit, in der wir noch ans Happy Ending glaubten. Erinnerungen an die vielen Worte, die heute so bedeutungslos und ungültig erscheinen wie ein Vertrag ohne Unterschrift. Hab mich oft gefragt, wie alles so unglaublich schief gehen konnte und die Antwort darauf gleich wieder verdrängt. Denn diese will keiner von uns beiden hören.
Der Zug hält an, während der Motor weiter wummert. Die letzten Monate haben sich oft so angefühlt, Vollgas voraus und doch nicht weiterkommen, höchstens Mal gegen eine Wand gefahren, oder zurück zum Startbahnhof. Irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen, wie oft ich versuchte deine Nummer zu wählen, nur um jede einzelne Zahl wieder vom Ziffernfeld zu löschen, bis dein Name von der Anzeige verschwand. Irgendwann war zu viel Zeit vergangen, um locker drüber wegzusehen und die alten Erinnerungen durch Oberflächlichkeit zu retten. Vielleicht wollte ich auch nichts mehr retten. Vielleicht gab es auch nicht mehr zu retten als Smalltalk auf der nächsten Party. Irgendwie war ich müde von der Rolle, die ich einnahm, wenn wir einen Raum teilten. Neben dir war ich eine von den Charakteren, die ich nicht leiden kann.
Unscharfe Landschaftsstreifen ziehen im Augenwinkel vorbei. Die Idee zu gehen, um nie wieder zu kommen, erscheint verlockender mit jedem Kilometer, den ich hinter mir lasse. Vielleicht ist das manchmal das Einzige was bleibt. Im Kopf habe ich alle Szenarien durchgespielt, alle Versionen, als würde ich dort einen Film über uns drehen und immer wieder das Drehbuch umschreiben. Nur das Ende ist schreibgeschützt. Egal welche Route ich wählte, der Endbahnhof bliebe der gleiche.
Die Sonne blendet müde Augen, ein bisschen Wärme durch die Fensterscheibe. Darüber hängt ein eiserner Hammer mit rotem Griff, nur im Notfall benutzen, steht daneben. War es ein Notfall, oder nur der besser zu erreichende Ausgang? Ich fahre mit den Fingern über zersprungenes Glas, das unter dem kleinsten ausgeübten Druck bricht und drücke den Finger auf die Scherben, bis sie in ihre Einzelteile zerfallen. Manchmal bleibt vom großen Ganzen nicht mehr über als ein Scherbenhaufen, den man nicht wieder zusammensetzen kann, ohne sich an jeder Scheibe die eigene Haut zu ritzen.
Der Zug schleicht von einer Haltestelle zur nächsten. An einigen Stationen kommen mir die Stopps wie stehenbleiben vor, wie ein Zugausfall ohne Ersatz, während du mich auf der Nebenspur überholst. Es ist das erste Mal seit Langem, dass ich nicht versuche aufzuschließen, sondern dich ziehen lasse. Ich hatte immer das Gefühl mich bei dir anstrengen zu müssen, um gemocht, oder dir nicht egal zu werden. Ich selbst zu sein war nie genug, war eine blanke Leinwand für deine Projektionen. Ob du durchschaut hast, dass die Worte, die ich zuletzt wählte, nicht zufällig, sondern bewusst gewählt waren, um die Leinwand mit ein paar Zeilen zu verbrennen?
Der Zug nimmt wieder Fahrt auf, scheint nur weg zu wollen, ohne zu wissen wohin. Manchmal überrascht es mich, dass ich so lange gebraucht habe, um zu erkennen, dass du mich umso mehr mochtest, je schlechter es mir ging, als ob meine Schwäche dir irgendwie Stärke verleihen konnte. Vielleicht gibt es manchmal nichts zu retten, nicht wegen dem was passiert ist, sondern wegen der Erkenntnisse, die man gewonnen hat. Vor ein paar Monaten hat mir die Vorstellung der gegenwärtigen Situation wahnsinnige Angst gemacht. Aber vielleicht muss man kaputte Beziehungen genauso aussortieren, wie zu eng gewordene Kleidung. Denn um dort wieder reinzupassen, müsste man sich unendlich verbiegen.
Meine Gedanken fliegen über weite Felder. Ich genieße die freie Sicht seitdem ich dich aus dem Blick verloren habe. Manchmal bedeutet aufgeben auch gewinnen. Und auch wenn ich nun gelegentlich Fremden nah bin und mir echte Nähe weiter entfernt scheint, als die Strecke, die ich bis hierhin zurückgelegt habe, bringe ich es nicht über mich deine Nummer zu wählen. Und auch wenn ich weiß, dass die Art und Weise wie alles auseinanderdriftet keine Gute ist, nehme ich mir vor, mir das selbst zu verzeihen, anstatt mich bei dir dafür zu entschuldigen. Mit Loslassen assoziieren alle immer ein Weggehen von etwas, einen Abschied, ein Ende – aber vielleicht ist es mehr ein sich selbst freigeben, ein Platz für jemanden freimachen, ein Anfang.
Der Lautsprecher knackt und gibt in hoher Stimme die nächste Station bekannt. Neue Unbekannte steigen in den Zug, suchen mit fachmännischem Blick nach leeren Sitzen. Jemand fragt, ob der Platz neben mir schon vergeben ist, und ich verneine, nachdem ich ihn dir viel zu lange freigehalten hatte.