Über das Gendern und Kulturkämpfe

von Dijana Kolak und Nils Hipp

Unsere Redakteur:innen Dijana Kolak und Nils Hipp haben sich aufgrund der, durch Merz’-Quatsch-Tweet wieder stärker aufkommenden Debatte um das Gendern und den damit verbundenen politischen Folgen auseinandergesetzt und haben im folgenden ihre persönlichen Gedanken dazu in Kommentarform aufgeschrieben, viel Spaß.

Dijana Kolak:

Gendern ist politisch. Es ist eine politische Frage, ob man Frauen und andere marginalisierte Gruppen nur gedanklich “mit meint” (lächerlich ist) oder auch wirklich sprachlich sichtbar macht. Es ist eine Frage von Macht und Gerechtigkeit.

Geschlechter sind sehr präsent in der deutschen Sprache, beispielsweise durch Artikel und Berufsbezeichnungen. Das ist sicherlich keine neue Information, aber eine wichtige. Studien belegen, dass die Nennung mehrerer Geschlechter bei Berufsbezeichnungen positive Auswirkungen auf das Selbstbild und -bewusstsein von Heranwachsenden bei der Berufsentscheidung hat. Wenn kenntlich gemacht wird, dass sowohl weibliche als auch männliche sowie diverse Personen einen bestimmten Beruf erlernen, nimmt es bei vielen sicher die Hemmschwelle und verdeutlicht, dass Berufe unabhängig vom Geschlecht ausgeübt werden können. Psychologin Bettina Hannover in ihrer Studie “Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy.” von 2015 (!) genau das belegt.

Das funktioniert natürlich auch umgekehrt, hier ein paar Beispiele Pflegerin, Hebamme, Krankenschwester. In jedem Fall sind diese Berufsbezeichnungen mit gesellschaftlichen Stereotypen verbunden, die gefährlich sind: Die Frau als hilfsbereite Pflegekraft, der starke Mann als Feuerwehrmann, der Menschen durch seine physische Kraft rettet. Gendergerechte oder -neutrale Sprache ist geradezu essentiell, um die historisch und traditionell gewachsenen Rollenbilder von Mann und Frau zu bekämpfen. Gleichberechtigung heißt nicht nur gleiche Chancen haben, sondern auch frei sein von Vorstellungen und Idealen, die Zwang und Anpassung vorschreiben.

Wenn die Angst verstummen lässt

Was hindert uns aber am Gendern? Ist es wirklich nur die Frage der Umgewöhnung? Eines der Hauptargumente von Gender-Gegner:innen – was hier bewusst gegendert wurde, ist, dass das generische Maskulinum, also das grammatikale Geschlecht des Wortes unnötigerweise sexualisiert wird. Außerdem: Dass Frauen und alle anderen Geschlechter, deren Existenz Gegner:innen aber meist anzweifeln, mitgemeint wären.

Darüber würde ich lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Aussagen wie diese widersprechen soziolinguistischen Theorien. Mehrere Sprachtheorien beschreiben das Phänomen “Sprache erzeugt Bilder.” so wie die Ferdinands de Saussure. Welche Assoziation wird hervorgerufen, wenn die Rede von einem “Arzt” ist? Vor unserem inneren Auge sehen wir einen männlichen Arzt, keine weibliche Ärztin. Tell me wrong, falls ihr euch was anderes vorstellt. Denn genau darum geht es: Welche Assoziationen erzeugen die Begriffe? Und: welche nicht?

Ansprechen und sich angesprochen fühlen sind allerdings zwei verschiedene Dinge. Oftmals kommt auch der Kommentar von weiblichen Personen, dass sie sich ja angesprochen fühlen, wenn ausschließlich das generische Maskulinum verwendet wird. Das ist schön für sie. Die Realität ist aber: Sie werden nicht angesprochen.

Eine andere dem Gendern entgegenstehende Meinung: Die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern sollen zunächst in der direkten Realität behoben werden; gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit etc. Aber: Sprache schafft Realität. Es geht nicht darum, die Realität durch eine gerechtere Sprachverwendung zu kompensieren, sondern darum, sie zu schaffen. Wie soll die vollständige Emanzipierung gelingen, wenn Frauen nicht in der Sprache, unser aller Kommunikationsmittel (ob wir wollen oder nicht), sichtbar sind? Wenn man sie “mit meint”, woran liegt es, dass man sie nicht auch verbal nennt und als selbstverständliche zugehörige Gruppe behandelt?

Gendern als politischen Aktivismus

Sprache ist wandelbar, sie wird sich immer verändern. Das ist Fakt. Deal with it. Warum muss man gendergerechte Sprache so sehr ins Lächerliche ziehen, wie es Politiker:innen wie Friedrich Merz tun? Wovor fürchten sie sich? Dass die Gesellschaft zu einer gerechteren wird und sie ihre Privilegien zurückstecken müssen?

Vor allem die weiblichen und diversen Personen müssen adäquater durch die Sprache repräsentiert werden. Wenn man das Wort „Lehrer“ hört, assoziiert man in erster Linie damit männliche Lehrkräfte. Es heißt zwar, die weiblichen Personen seien „mitgemeint“, aber schließlich assoziiert man bei dem Wort „Lehrer“ eine männliche Person; das biologische und das sprachliche Geschlecht scheinen in diesem Fall übereinzustimmen. Das generische, also das sprachliche, Maskulinum kann sich von dem Sexus, dem biologischen Geschlecht, der angesprochenen Personen zwar unterscheiden. Wenn man allerdings das Femininum verwenden und somit alle Personen als „Lehrerinnen“ anführen würde, mit der Begründung, dass die männlichen Lehrkräfte „mitgemeint“ wären, wäre dies – noch – undenkbar.

Wer nicht gendert, ist nicht fair: Somit ist man Teil der patriarchale Gesellschaft, welche Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht und somit auch in der Sprache nicht sichtbar macht. Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern in unserer Gesellschaft können nicht direkt durch eine andere Sprachverwendung verändert werden, sind aber wesentlicher Teil, um sie zu bekämpfen.

Leben ohne Geschlechterrollen, heißt Leben mit gerechter, nicht diskriminierender Sprache. Und nein, Gegenstände müssen nicht gegendert werden. Aber macht euch gerne weiterhin darüber lustig, um von dem eigentlichen Problem abzulenken: Angst, die eigenen Privilegien abzugeben und andere als gleichwertig anzusehen.

Foto: Dijana Kolak

Nils Hipp:

Rechte und Linke führen seit Jahren einen Kulturkampf, der sich an verschiedenen Fronten, also auch in der Sprache niederschlägt. Dabei geht es um das politisch Sagbare, um Grenzüberschreitungen und um die Gestaltung der Gesellschaft in der wir leben wollen. Die Hufeisentheorie ist aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll zur Beschreibung politischer Realität.

Kurz zusammengefasst: Die Gewichtung von Themen kann nicht gleichrangig betrachtet werden z.B. Faschismus und Antifaschismus sind nicht beides legitime, gleichwertige Meinungen. Die Zielsetzungen und in der Ideologie inhärente Prämissen sind auch grundverschiedene, Linke wollen eine bessere Welt für die breite Masse, die Mittel und Wege dabei variieren und entbehren auch nicht zwangsläufig einer gewissen Form von Gewalt. Jedoch als Mittel und nicht als Ziel. Während in Rechter Ideologie mit Militarismus, ethnischer Säuberung und Autoritarismus, eine strukturelle und faktische Gewalt zwangsläufig ein fester Bestandteil ist. Deshalb gibt es dabei nur eine Positionierung für die eine oder andere Seite.

Sicher gibt es auch verschiedenste Themen bei welchen Menschen verschiedene Positionen beziehen können, ohne, dass das als absolute Positionierung verstanden werden muss, nur weil man also gegen das Gendern ist, ist man natürlich nicht zwangsläufig für eine Diskursverschiebung nach Rechts, aber am generellen Kulturkampf und der Positionierung darin, kommt auf lange Sicht niemand vorbei. Eine der wohl greifbarsten Folgen dieses Kampfes ist, dass selbst ein solches Thema wie das gendern politisch aufgeladen wird. Es ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, bei dem es um mehr geht als das “:innen” hinter Wörtern. Es geht um eine Anerkennung gesellschaftlicher Gruppen, die in der Vergangenheit und in der pervertierten Vorstellung der Zukunft, die Rechte predigen nicht gehört und unterdrückt werden.

Gendern an sich macht die Welt nicht besser, ein Bewusstsein und Empathie für Menschen, die nicht weiß, nicht männlich und nicht heterosexuell sind, auch auf sprachlicher Ebene hat positive Veränderung zur Folge. Das Thema wird von Rechten missbraucht und als “sprachliche Umerziehung” geframed, da ihnen die identitäts-politischen Folgen aus gendergerechter Sprache nicht gefallen. Gendergerechte Sprache ist nur die Sichtbarmachung eines tiefer liegenden Problems. Wenn man beispielsweise Trans-Menschen und ihre Existenz sprachlich anerkennt, verändert das das Bild, das wir von Gesellschaft haben, also sind logischerweise jene, die sich eine rein weiße, patriarchal geprägte Gesellschaft vorstellen gegen diese Sichtbarmachung. Ähnliche Mechanismen griffen in der Vergangenheit beim Thema Homosexualität, lange war sicher auch den mysogynsten Arschlöchern in der Gesellschaft klar, dass Homosexualität keine Perversion der Natur ist, es hat aber ihr Bild von Männlichkeit verändert also verschlossen und verschließen sie sich gegenüber der Realität, die ihre persönliche Wahrnehmung, ihre Identität und ihr Bild von Normalität verändert.

Gendern ohne politische und tatsächliche Konsequenz ist eine identitäts-politische Nebelkerze.

Gendern wird oft von Rechten als Lappalie geframed und oberflächlich betrachtet ist es das im Vergleich zu anderen Problemen sicher auch, natürlich kann ich das als Mann sehr leicht behaupten, mich betrifft es ja nicht. Aber darum geht es nicht, es geht nicht darum, ob man Gendern überflüssig findet oder nicht, vielmehr geht es um Respekt gegenüber den Menschen, die bisher nicht in unserem Sprachgebrauch sichtbar sind.

“Haben wir denn keine anderen Probleme?”, würden an dieser Stelle wohl viele Konservative und Liberale einwenden.

Naja doch haben wir, aber das ist nun mal Teil der Sichtbarmachung dieser. Wie gesagt, die Welt wird nicht direkt besser, wenn Menschen gendern, nicht aber parallel die grundlegenden sexistischen Missstände der Gesellschaft reflektieren. Also natürlich ist es im Endeffekt für die meisten Menschen keine greifbare Verbesserung, aber es kostet nun einmal auch wirklich keine Mühe, also machen wir es einfach, eben weil SPRACHE WIRKLICHKEIT SCHAFFT UND VERÄNDERT, wenn es sich in unsere Köpfe eingebrannt hat, dass es mehr gibt als Männer und Frauen, denken wir bei unserer Meinungsbildung und unseren politischen Aussagen mehr Perspektiven mit und können uns somit eine tatsächlich für alle bessere Gesellschaft vorstellen. Also sind wir doch mal kurz ehrlich, es kann doch selbst einen Reaktionären nicht wirklich stören, dass wir jetzt ein “:innen” an unsere Wörter packen, das ist doch kein Problem mit dem man politisch Stimmung machen muss oder kann, also laden sie mal wieder eine gesellschaftliche Nichtigkeit so politisch auf, dass es eine ideologische Debatte wird.

Zusammengefasst, sollten wir alle gendern oder genderneutrale Sprache verwenden, bzw. es versuchen?

Ja sollten wir, es schafft Bewusstsein, verändert unser Denken und geht Reaktionären auf den Sack, was an sich schon mal cool ist.

Sollten wir aber Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen dem gendern verweigern kategorisch aus dem Diskurs ausschließen?

Nein natürlich auch das nicht, man sollte es an alle Menschen empathisch herantragen, die zahlreichen Gründe erklären und dann sehen wie sie reagieren. Manche Menschen werden nie gendern, das ist Schade, macht sie aber noch lange nicht zu Faschos.

An dieser Stelle sei noch einmal eingefügt, dass das ein Kommentar aus der Sicht eines weißen Mannes ist, der natürlich niemals die emotionale Dimension eines nicht in der Sprache und in weiten Teilen des Diskurses vorkommens verstehen wird. Unsere Gesellschaft verändert sich, Stimmen, die zuvor unterdrückt wurden, nehmen sich nun ihren Platz im Diskurs, das mag sich für viele so anfühlen, als würde ihnen dadurch etwas genommen werden, dem ist aber nicht so, wir erfahren nun erstmalig, was es bedeutet, solidarisch mit allen Facetten einer bunten Gesellschaft über relevante Themen zu diskutieren. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, sollte aber von jedem Menschen, der:die eine bessere und gerechtere Welt möchte unterstützt werden.

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