Über die Einsamkeit in fremden Betten

Foto: Mira Obermeit (@mira_belletriste)

Wenn ich mich einsam fühle, swipe ich. Nach rechts und meistens nach links. Jungs, Mädchen – Menschen.

In nie enden-wollender Stereotypie bewegt sich mein Daumen über den Bildschirm. Innerhalb einer Millisekunde entscheide ich, ob ich dem Gesicht auf dem Bild eine Chance auf mehr gebe. Meine Augen sehen nicht mal mehr richtig hin. Ich darf keine Menschen treffen, vor allem keine fremden. Swipe links. Es ist wichtig, die Kontaktbeschränkungen ernst zu nehmen. Swipe links. Du hast eh viel zu viel zu tun. Swipe links. Die Haare sind schön. Swipe rechts. Ein Match.

Es ist ein Kampf zwischen kollektivem Verantwortungsbewusstsein und dem Bedürfnis nach Nähe. Fakt ist, Berührungen steigern das Wohlbefinden. Der Mensch kann ohne Berührungen nicht leben, er ist ein Beziehungswesen und kann nicht für sich alleine existieren. Aber in einer Pandemie, die durch ein Virus ausgelöst wird, das sich vor allem über die Atemwege überträgt und somit keinerlei Berührungen zulässt, kann es existenziell sein, auf sie zu verzichten.
Das Bedürfnis nach Nähe wird tödlich. Der Drang zu handeln, auch. Das Frustrierendste ist doch, dass wir mit etwas zu kämpfen haben, dass wir am Ehesten durch Nichtstun besiegen können.
Menschen sind komisch. Wir wissen alle, dass es falsch ist, sich jetzt mit anderen Menschen zu treffen – vor allem mit fremden – und viele tun es trotzdem.

Ich weiß das, weil ich selber viel gedatet habe – immer in dem Wissen, die Infektionsrate dadurch aufrechtzuerhalten. Aber als ich eines morgens im Sommer in deinem fremden Bett erwachte und in dein fremdes Gesicht schaute, vergaß ich es wieder und dachte lieber daran, wie schön es ist, Menschen zu lieben, zu halten und im Moment der Zweisamkeit die Einsamkeit zu vergessen. An jenem Tag fiel Sonnenlicht durch das Fenster auf dein Bett und wir überlegten, ob es sich lohnte, schon aufzustehen oder ob wir noch liegen bleiben sollten. Frühstück im Bett oder doch in der Küche?

Ich hatte eklatante Erfolge im Daten, in schneller Liebe, schnellem Sex. Überambitionierte Biografieschreiber:innen wechselten sich ab mit Leuten in wohlplatzierten Schnappschüssen. Ich möchte ganz viel Nähe, distanziere mich dabei jedoch von der Gesellschaft, weil ich unsolidarisch bin, indem ich date. Paradox.
Solidarität? Was heißt das eigentlich? Der Duden sagt: Solidarität, die, ist ein Substantiv und beschreibt, das unbedingte Zusammenhalten mit jemandem gleicher Anschauungen und Ziele.
Wie sollen wir denn zusammenhalten, wenn wir Distanz wahren müssen? Und vor allem: wie sollen wir jetzt zusammenhalten, wenn wir es schon vor der Pandemie nicht getan haben? Haben wir denn jemals die selben Ziele verfolgt? Wer jetzt mit Nazis läuft, fand sie früher auch nicht komplett kacke. Das war eigentlich vorauszusehen, oder?

Der Mensch ist egoistisch. Auch wenn er nun das Wort „solidarisch“ für sich entdeckt hat, heißt das noch lange nicht, dass er es auch ist. Firmen wie Nestlé werben nun mit „Solidarität in der Krise“, während sie noch immer Kinder für sich arbeiten lassen und Grundwasser in Südafrika privatisieren. Denken wir daran, wenn wir uns eine Packung Choco Crossies genehmigen? Nein, wir vergessen zu gerne die Tatsache, dass wir nur auf Grundlage anderer Menschen Unglück, Glück empfinden. So oder so ähnlich verhält es sich wohl auch mit dem Daten in der Corona Pandemie. Wir verlängern die Einsamkeit aller, indem wir uns selber pointiert Nähe zugestehen.

Alte Menschen, Risikiopatient:innen und ihre Angehörigen, sie alle haben keine andere Wahl, als Zuhause zu bleiben. Und durch Menschen wie mich, müssen sie das noch länger. Manche kommen besser damit klar als andere, manche kriegen Depressionen, manche verlieren ihren Job, manche fangen an, zu trinken oder ihre Frau zu schlagen. Manche daten inflationär fremde Menschen und erhoffen sich damit, das Gefühl von Freiheit wiederzuerlangen. Emotionale Fragilität präsentiert sich derzeit in den verschiedensten Facetten.

Während ich an diesem einen Morgen neben dir lag und dir zuhörte wie du über die Corona-Rezession sprachst, wurde mir bewusst, dass ich gerade zwar nicht allein war, aber dennoch einsam. Dein langes Haar fiel dir in die Augen, du strichst es weg. Ich sah dich an und sah dich nicht. Die Sonne zog langsam am Fenster vorbei, während wir da lagen und mich deine Fremdheit abstieß. War es das wert, neben dir zu liegen und damit Menschenleben aufs Spiel zu setzen? Mit unserer Gesundheit zu spielen?
Meine romantisierten Gedanken daran, dass der Mensch doch nicht ohne Nähe überleben könne und gleichzeitig auch zu egoistisch sei, um sein Verhalten in einer Krise zu ändern, wich der Idee, dass wir es doch auch einfach lernen könnten. Dass ich es einfach lernen könnte. Nähe ohne Kontakt, Egoismus und Solidarität. Die Sonne war nun ganz herumgewandert und ihre Strahlen fielen nicht mehr in dein Zimmer. Ich stand auf.

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